E.T.A. Hoffmann. Flüchtige Bemerkungen und Gedanken über mancherlei Gegenstände

Esse, 1819
На русском: Краткие заметки и мысли о разных вещах
(Nach dem Französischen des Barons von L*****)

Es gibt Künstler, die dem Bajazzo gleichen, wenn er einen gewaltigen Anlauf nimmt und dann plötzlich stehenbleibt, ohne den Sprung zu wagen. — Das sind die Schauspieler ohne wahrhattes Genie; im Innern hohl, nur äußern Prunk borgend vom mächtigeren Gotte. Der Anlauf (das Vorteilchen, nach Ifflands weltbekannter Anekdote) läßt sich allenfalls erlernen, die Kratt zum Sprunge verleiht die Natur allein, und deshalb bleibt es bei jenen Schauspielern denn immer beim Anlauf zum Sprunge.

Hogarths Quacksalber in der »Heirat nach der Mode« hat eine sehr künstliche Maschine gebaut mit Hebeln, Gewichten, Rädern, Wellenzügen, Schwanzschrauben u. s. w., um — einen Pfropf aus der Flasche zu ziehen! Eher wird aber die arme, in die Maschine eingeklemmte Bauteille in tausend Stücke zerklirren, als der Pfropf sich nur um ein Haarbreit heben. — Manche Kunstleistungen gleichen dieser Maschine. Mit dem Aufwand aller reichen Krätte werden ungeheure Anstalten gemacht, die aber am Ende, statt die auf einfacherem Wege leicht zu erreichende Wirkung, welche eigentlich beabsichtigt worden, hervorzubringen, nur das Ganze rettungslos zerstören.

Die wundersamen Sprünge und Kapriolen unserer jetzigen Tänzer erinnern sehr lebhatt an die sinnreiche Art, wie die Araber ihre Kamele tanzen lehren. Besagte Kamele werden nämlich auf einen Boden von Blech geführt, unter dem ein Feuer angezündet. So wie das Blech immer mehr und mehr erglüht, heben die Tiere die zierlichen Pfötchen höher und höher — und immer höher und konfuser mit der steigenden Glut, bis sie zuletzt mit allen vieren in den Lütten zu schweben scheinen. — Das ist denn recht artig anzusehen, und mancher europäische Ballettmeister mag bei dem Anblick dieser reinen Natur in ihrer vollen Anmut und Kratt zur Erfindung ganz neuer absonderlicher Pas begeistert worden sein. Die Ballette der neuesten Gattung lassen das mit Fug und Recht vermuten.

Die pantomimischen Konvulsionen des monotonen oder ganz tonlosen Schauspielers könnte man, da der Krampf sich gewöhnlich am stärksten in den Händen zeigt, billigerweise Händegeschrei nennen. Der Zuschauer wird dabei in den beängstigenden Zustand des Tauben versetzt, der die Worte bloß sieht, ohne sie zu hören oder wenigstens zu verstehen. — Der Schauspieler könnte aber auch mit seinem Publikum auf gutmütige Weise übereinkommen rücksichts gewisser Zeichen, die die leidenschattliche Steigerung des Tons, deren er nicht mächtig, geschickt andeuten müßten. — Das gäbe dann vielleicht manchmal Gelegenheit zu einem ähnlichen Gespräch im Theater, wie das folgende:

Der Verehrer. Herrlich! — göttlich! — himmlischer X.! welche tragische Kratt, welche Energie, welcher sublime Pathos lag in dieser Rede! — O klatschen Sie doch, klatschen Sie doch, mein Bester!

Der Unbefangene. Aber ich habe ja nur ein tonloses Geächze vernommen, ich habe kein Wort verstanden, und Sie sprechen von Kratt, von Energie —

Der Verehrer. Was wollen Sie denn? — Fuhr denn nicht gleich anfangs der herrliche X. mit beiden Armen hoch in die Höhe? — ballte er nicht eine Faust und dann, immer steigend und steigend, zuletzt gar beide Fäuste? Ich weiß nicht wo der hohe Genius, der göttliche Mensch die Krätte hernimmt» wie er es aushält. —

Bei der Anpreisung des Kaleidoskops wurde zum Beweis, wie darin auf santte Weise das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden, vorzüglich gerühmt, daß es die Phantasie der Kattundrucker und Westenfabrikanten zu den unerhörtesten Mustern beflügeln könne. — Sollte ein muntrer Kopf von Mechanikus nicht leichtlich ein Kaleidoskop für preßhafte Dichter zu erfinden vermögen? Die kleinsten, ordinärsten, miserabelsten Gedankenfetzchen dürtten nur hineingeworfen werden, um sich, gehörig gerüttelt und geschüttelt, zu den sonderbarsten Bildern zu fügen. Würde der Dichter nicht in frohem Staunen, in heller Begeisterung auf Gedanken geraten, an die er in der Tat selbst nicht gedacht? — Doch! — es spukt ja wohl schon viel Kaleidoskopisches auf unsern Bühnen.

Für die verschiedenen Richtungen, die Dichter nach dem Übergewicht dieser, jener ihnen inwohnenden Kratt nehmen, ließe sich eine förmliche Windrose auf Seemannsmanier denken. Die beiden entgegengesetzten Pole, Nord und Süd, bilden Verstand und Phantasie, West und Ost Humor und Geist. Die Abweichungen liegen nun dazwischen. Z. B. wenn es auf der Schiffrose heißt: Nord-West, Nord-West-Nord, Nord-West-West, so heißt es hier: Verstand-Humor, Verstand-Humor-Verstand, Verstand-Humor-Humor etc. — Das Schlimmste für die Seefahrer möchte bei den Dichtern das Beste sein, wenn nämlich der Wind aus allen vier Ecken bläst. — Übrigens ist die Windrose nur brauchbar bei Dichtern, die wirklich auf heller blanker See segeln und ihre anmutigen Lieder ertönen lassen. Wer mag die Richtungen bestimmen, in denen die Frösche im Sumpf quakend hin und her hüpfen.

Lichtenberg, Hippel, Hamann u. a. brachten alles Witzige, was ihnen im Augenblick der Genius eingab, sorglich zu Buche und verwebten es dann, fand sich Gelegenheit dazu, in ihre Schritten. Voltaire buchte auch seine witzigen Einfälle, aber echt französisch nicht allein für seine Schritten, nein! — zum Gebrauch in der Gesellschatt, in der Konversation. Wollte er recht geistreich erscheinen, so pflegte er vorher einige Blätter aufgeschriebenen Witzes zu durchlaufen und brannte dann die kleinen Schwärmerchen, die längst im Arsenal fertig gelegen, in der Gesellschatt mit erstaunlicher Wirkung als Impromptus ab. Als er starb, fand man in jenem Buch noch an hundert als unverbraucht notierte Einfälle. Welch ein ganz unschätzbares Vermächtnis für einen Witzbold, der sich berufen glaubt, überall die Kosten der Unterhaltung zu bestreiten, und dem es an der nötigen Habe dazu mangelt. Da ein einziger guter Einfall den fatalen Eindruck von wenigstens sechs vorhergegangenen schlechten rein vertilgt, so reichen hundert echte Witzwörter hin fürs Leben, geht Inhaber nur etwas haushälterisch damit um.

Anekdotenerzähler gleichen den Hausierern, die fremde Ware feilbieten, ohne von der Kunst, sie zu bereiten, auch nur das mindeste zu verstehen. Wortspiele sind die wahren ästhetischen Tafelkünste. Es kommt darauf an, Worte und Gedanken geschwind zu eskamotiereh. Der Wortspieler wird sehr geschickt sich der gewöhnlichen Anrede des Taschenspielers bedienen können: »Meine Herrn! Geschwindigkeit ist keine Hexerei!« Großes Gefallen an der Wortspielerei werden die haben, welche sich ganz unmäßig zu wundern und zu freuen vermögen, wenn sie unter dem Hute einen Vogel finden statt des erwarteten Eies.

Es ist sehr gefährlich, sich deshalb für witzig und geistreich zu halten, weil man zuweilen ein treffendes Wort sagt, und vermag man wirklich in hellen Momenten witzig und geistreich zu sein, schon deshalb unbedingt an den inwohnenden Gott zu glauben, der das Lebendige schatt. Ein treffendes Wort ist noch kein witziger Einfall, ein witziger Einfall noch kein geistreicher Gedanke, ein geistreicher Gedanke noch kein Wort für die Welt. Aber jene Selbstmystifikation ist nur zu häufig und ihr — ja, man möchte sagen, dem schimärischen Begattungstriebe ohne Zeugungskratt, verdanken wir die ästhetischen Kretins mit automatischer Bewegung ohne inneres Leben

Готово!